11 Fragen an Dr. Heck
1. Wie erkenne ich, ob ich alkoholkrank bin?
Entzugserscheinungen wie z.B. Herzrasen, innere Unruhe, Schwitzen und morgendliches Würgegefühl mit Brechreiz sind Zeichen einer körperlichen Abhängigkeit und eines schon fortgeschrittenen Alkoholismus.
Wer diese körperlichen Entzugserscheinungen bei sich selbst noch nicht beobachten kann, ist daher nicht automatisch auf der “sicheren Seite”. Alkoholismus entwickelt sich schleichend über Jahre des riskanten Konsums. Zeichen einer solchen Suchtentwicklung sind zum Beispiel: Tägliches Trinken, vergebliche Versuche weniger zu trinken, Gewissensbisse wegen des Trinkens, gezieltes Trinken aufgrund persönlicher Probleme, Trinken während der Arbeitszeit unter Inkaufnahme von Problemen am Arbeitsplatz, vermehrte gedankliche Beschäftigung mit Alkohol.
Wer den Führerschein wegen Alkohol am Steuer verliert hat selten nur Pech, sondern meist ein ernstes Alkoholproblem.
2. Wie kann ich meine Kinder vor Alkoholismus schützen?
-Seelische Widerstandskraft und Belastbarkeit fördern (Resilienz)!
Kinder werden stark fürs Leben, wenn es Eltern gelingt, ihre Kinder zu lieben, die Persönlichkeit des Kindes anzunehmen und sich für ihre Kinder zu interessieren. Dies ist nicht so selbstverständlich wie es scheint. Eltern, welche selbst als Kind vernachlässigt oder misshandelt wurden, kämpfen oft mit eigenen Selbstwertproblemen und haben es deshalb schwerer, ihre Kinder mit ihren zum Teil anstrengenden Eigenschaften lieben und annehmen zu können.
-Vorbild sein (Lernen am Modell)!
Kinder lernen durch Nachahmung. Wir sind unseren Kindern Vorbild – im Guten wie im Schlechten, also auch im Umgang mit Suchtmitteln. Je mehr Alkohol wir vor den Augen unserer Kinder trinken, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese später selbst mehr und häufiger trinken. Eine kritische Auseinandersetzung und Bewältigung unseres eigenen Suchtanteils ist also gefordert. Dort, wo Eltern dieses nicht gelingt, sollten sie Ihr eigenes Suchtverhalten wenigstens ehrlich als Problem benennen und dem Kind nicht als das normale Erwachsenenverhalten verkaufen (beispielsweise beim Rauchen).
-Erster Alkohol so spät wie möglich!
Es ist nicht harmlos, Kindern z. B. bei Familienfeiern kleine Mengen Alkohol zu trinken zu geben und ihnen auf diese Weise früh das Trinken beizubringen.
Frust, Ärger, Zweifel und Kränkung kommen in jedem Leben vor, also auch im Leben unserer Töchter und Söhne. Wir alle benötigen zur Bewältigung dieser Zustände die richtige Mischung aus Frustrationstoleranz, also der Fähigkeit unangenehme Zustände auch mal ertragen zu können, und aktiver Problemlösefähigkeiten.
3. Sind prozentual mehr Männer als Frauen alkoholkrank?
Männer sind für Alkoholismus anfälliger als Frauen. Vier von fünf Alkoholikern sind Männer. Die Frauen eifern allerdings hier den Männern nach und bemühen sich seit Jahren um Ausgleich, so dass der Anteil männlicher Alkoholiker unter Jugendlichen heute “nur noch” doppelt so hoch ist wie bei gleichaltrigen Mädchen.
4. Welche Erklärung gibt es dafür?
“Männer werden als Kind schon auf Mann geeicht …” und dies ist eine Last. Die Geschlechterrolle des starken Mannes macht es Männern schwerer mit Misserfolgen und seelischen Problemen angemessen umzugehen. Männer tun sich schwerer als Frauen Hilfe einzufordern, denn dies setzt zunächst voraus sich einzugestehen, dass man Hilfe braucht. Tatsächlich wird auf hilfebedürftige Frauen ja auch positiver und einfühlsamer reagiert als auf schwache und hilfebedürftige Männer, die zu Recht befürchten, als “Weichei” abgewertet zu werden.
Die Selbstbetäubung mit Alkohol ermöglicht es dann, das Selbstbild des starken Mannes aufrechtzuerhalten. Dies wird aber natürlich nicht so wahrgenommenen weil Alkohol trinken selbst in unserer Kultur immer noch mit Männlichkeit assoziiert ist (Wer viel verträgt, ist ein echter Kerl).
Verkürzt könnte man sagen: “Alkoholismus ist die Depression des Mannes.” Unabhängig von diesen kulturellen Gründen gibt es auch biologische Gründe. Jungs sind von Natur aus risikofreudiger und haben ein stärkeres Bedürfnis nach intensiven Reizen, nach Grenzerfahrungen. Diese werden eben auch mit Alkohol und Drogen gesucht und erlebt.
5. Ist eine Therapie die einzige Chance von der Sucht loszukommen?
Die Wirksamkeit von psychotherapeutischen Verfahren ist wissenschaftlich gut belegt. Dennoch ist Psychotherapie nicht die einzige Möglichkeit um vom Alkohol loszukommen. Bei fortgeschrittener Alkoholabhängigkeit ist Psychotherapie alleine ohnehin nicht ausreichend, sondern muss eingebettet sein in ein Hilfesystem, zu welchem auch Besuche einer Selbsthilfegruppe gehören. Hier erleben die Betroffenen Zugehörigkeit und echtes Verständnis für ihre Störung. Ratschläge und Ermahnungen durch Ärzte wirken ja oft “von oben herab” und lösen Widerstände aus, werden aber von Gleichgesinnten aus der Selbsthilfegruppe dankbar angenommen.
Veränderungskraft entsteht weniger durch rationale Einsicht, sondern durch korrigierende intensive emotionale (Neu-)Erfahrungen, welche oft innerhalb einer Gruppe entstehen.
6. Was können Familienangehörige tun?
Angehörige sollten den Alkoholkranken innerhalb der Familie möglichst sachlich und eher vorwurfsfrei konfrontieren, ihm klar und deutlich sagen, dass er ein Alkoholproblem hat.
Darüber hinaus sollte der Betroffene ermutigt werden sich Hilfe zu suchen. Dies kann der gemeinsame Besuch einer Suchtberatungsstelle oder des Hausarztes sein.
Alkoholismus und häusliche Gewalt bilden oft eine unheilige Allianz, wenn der alkoholkranke Partner gewalttätig reagiert, sollte man sich als Partnerin mit der Frage auseinander setzen, aufgrund welcher eigenen Ängste man das alles erträgt.
7. Wie hoch ist die Rückfallquote?
Rückfälle sind nicht die Ausnahme, sondern eher die Regel. Nach einer zunächst erfolgreichen stationären Entwöhnungstherapie sind nach einem Jahr 30% der Patienten rückfällig und nach 4 Jahren 50%.
Nach einer reinen Entgiftungsbehandlung ohne weiterführende Therapie beträgt die Rückfallrate ungefähr 80%.
Diese Rückfallquoten sind typisch auch für andere Suchterkrankungen.
8. Stimmt es, dass ein trockener Alkoholiker durch eine einzige mit Alkohol getränkte Praline wieder rückfällig werden kann?
Diese These wird immer wieder propagiert. Es handelt sich um das Klischeebild eines extremen Kontrollverlustes. So als ob der Rückfall einem epileptischen Anfall gleich aus heiterem Himmel über den Alkoholiker kommen würde, nachdem dieser mit geringsten Mengen Alkohol in Kontakt komme. So ist es aber nicht, rückfällig zu werden ist eine Entscheidung! Minimale Alkoholmengen in Nahrungsmitteln können zwar unter Umständen starken Suchtdruck auslösen (der aber nicht automatisch zum
Rückfall führen muss). Das Suchtgedächtnis und der Suchtdruck werden jedoch viel stärker aktiviert durch Situationen im Alltag, die an frühere Situationen, in denen Alkohol konsumiert wurde, erinnern. Die Weinbrandbohnen wären also dann besonders gefährlich, wenn der Alkoholiker in seinen “nassen Zeiten” zusätzlich zu seinen alkoholischen Getränken immer auch solche gegessen hätte. In einem solchen Fall würde der Geschmack und Geruch dieser Pralinen starken Suchtdruck auslösen. Genauso gut kann es aber eine bestimmte Musik sein, die zum Trinken dazu gehörte.
9. Wie sieht es mit alkoholfreien Getränken aus?
Ein umstrittenes Thema. Abgesehen davon, dass alkoholfreie Biere oft nicht vollständig alkoholfrei sind kann man kritisch sehen, dass die Verhaltensweise des (Bier-)Trinkens aufrechterhalten wird. Die positiven Wirkungserwartungen (z.B. Entspannung, Überwindung von Schüchternheit etc.) sind weiterhin von dem Ritual des Trinkens abhängig. Aus diesen Gründen sind alkoholfreie Biere keinesfalls für Kinder geeignet weil sie eingebettet sind in eine Alkoholtrinkkultur.
Ob durch den Geruch und Geschmack eines alkoholfreien Bieres das Suchtgedächtnis aktiviert wird und gefährlicher Suchtdruck entsteht oder im Gegenteil schon vorhandener Suchtdruck mit einem alkoholfreien Bier erfolgreich reduziert werden kann ist von Mensch zu Mensch verschieden. Es kommt auf einen Versuch an. Für noch nicht abhängige Menschen, die aber aus ihrer Suchtentwicklung aussteigen möchten, ist der Umstieg auf alkoholfreie Getränke eine Möglichkeit.
10. Wenn einer Ihrer Patienten rückfällig wird, wie gehen Sie damit um?
Grundsätzlich ist ein Rückfall keine Katastrophe. Der Umgang mit einem möglichen Rückfall ist ohnehin regelmäßig Thema der Therapie und aus jedem Rückfall kann etwas gelernt werden. Wichtiger ist, dass Rückfälle kurz gehalten werden und der rückfällige Alkoholiker seine Scham überwindet und Hilfe einfordert.
Allerdings will ich den Patienten auch kämpfen sehen. Manchmal hilft es, dem Betroffenen freundlich aber bestimmt den Kopf zu waschen.
11. Hat sich durch Ihre Arbeit mit Suchtkranken Ihre persönliche Einstellung zu Alkohol verändert?
Ich bin mir der Gefährlichkeit des Alkohols bewusst. Gegenüber einer schleichenden Suchtentwicklung ist kaum jemand immun.